Mittwoch, 21. Oktober 2026
um 19:00 Uhr im Hotel „Leib & Seele“ des Hauses Walstedde
Vortrag
„Extremer sozialer Rückzug junger Menschen. Hikikomori in Deutschland?“
Junge Menschen, die sich freiwillig mehrere Monate oder Jahre, manchmal Jahrzehnte sozial zurückziehen, ihr Zimmer nicht mehr verlassen und alle Kontakte, selbst zu Familienmitgliedern im selben Haushalt, vermeiden, werden in Deutschland bislang gesellschaftlich wenig wahrgenommen und erhalten kaum Unterstützung. Für einen solchen extremen sozialen Rückzug, der nicht vorrangig im Zusammenhang mit einer psychischen Störung steht, wurde in Japan seit den 1980er Jahren der Begriff „Hikikomori" geprägt. Er bezieht sich auf Menschen, die über einen längeren Zeitraum – viele Forschende orientieren sich an einer Spanne von sechs Monaten – ihr Zuhause nicht verlassen oder in Kontakt mit anderen treten, ohne dass zu Beginn eine gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt.
Dem Rückzug junger Menschen können sehr unterschiedliche Gründe, Auslöser und Motive zugrunde liegen. Nicht nur individuelle Dispositionen, auch Formen des Protests und der Revolte gegen „das Erwachsenwerden" bzw. die Übernahme von Verantwortung für die eigene und andere Personen werden als Möglichkeiten für eine Verweigerung gegenüber Gesellschaft, Familie und Schule diskutiert. In Japan wird seit langem debattiert, ob der Rückzug ein Krankheitsbild darstellt oder vielmehr als eine „gesunde" Reaktion junger Menschen auf übermächtigen gesellschaftlichen Druck zu verstehen ist.
Der Vortrag beschäftigt sich nicht nur mit der Frage, was einen extremen sozialen Rückzug im Sinne eines „Hikikomori" von anderen Formen der Selbstisolation unterscheidet, sondern auch, vor welchem Hintergrund ein solches Handeln auftritt, wie in der Gesellschaft darauf reagiert wird und welche (interdisziplinären) Möglichkeiten des Umgangs, der Intervention und der Prävention aus bisherigen international vergleichenden Forschungsarbeiten abgeleitet werden können. Neben Präventions- und therapeutischen Maßnahmen im klassischen bzw. engeren Sinn stellt sich die Frage nach weiteren Unterstützungsmaßnahmen und zuständigen Strukturen, die in Deutschland wirksam sein könnten.
Zur Person:
Sabina Stelzig
ist promovierte Soziologin mit dem Schwerpunkt familiale Lebensformen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Vor über zehn Jahren entwickelte sie zusammen mit drei Kolleginnen den im deutschsprachigen Raum einmaligen und interdisziplinären Master „Angewandte Familienwissenschaften". Sie lehrt dort und im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit die Fächer Soziologie und empirische Forschungsmethoden. Seit 2018 beschäftigt sie sich in unterschiedlichen Zusammenhängen mit dem Phänomen des Extremen Sozialen Rückzugs junger Erwachsener und publizierte in diesem Zusammenhang mit drei weiteren Autorinnen das 2025 bei Springer erschienene Buch „Extremer sozialer Rückzug junger Menschen. Hikikomori in Deutschland?"

