Samstag, 03. Juni 2023

von 9-13 Uhr im Rahmen des Fachsymposiums in der Kulturscheune

Vortrag

„Neuromodulation und Neuroplastizität – wie und was wie heilen“

Man spricht von Neuromodulation, wenn die Arbeitsweise des Nervensystems durch chemische Substanzen (oder auch durch magnetische bzw. elektrische Stimulation) beeinflusst wird. Im Gegensatz zu Neurotransmittern werden Neuromodulatoren nicht punktförmig und innerhalb von Millisekunden ausgeschüttet, sondern weniger lokalisiert und mit zeitlich über Sekunden bis Minuten länger erstrecktem Effekt. Diese Effekte sind meist durch metabotrope 14 G-Protein-gekoppelte Rezeptoren vermittelt. Neuromodulatoren dienen daher nicht der Übertragung einzelner Signale (Aktionspotentiale) von einem Neuron zum anderen, sondern beeinflussen – „modulieren" – die Aktivität größerer neuronaler Funktionseinheiten, worunter man „Schaltkreise", Systeme, Netzwerke bis hin zum gesamten Gehirn versteht. Sie können die Aktivität insgesamt steigern oder vermindern, können den Fokus der Aktivität größer oder kleiner werden lassen oder ihn an einen bestimmten Ort lenken etc. Auch die Lernfähigkeit (bzw. die Größe der Änderung der Stärke von Synapsen bei deren Benutzung) kann geändert werden. Neuromodulatoren sind u.a. Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Acetylcholin und Oxytocin. Sie wirken im Gehirn ähnlich wie Hormone im übrigen Körper. Manche Neuromodulatoren wirken auch als Neurotransmitter oder auch als Hormon, was die Sache nicht einfacher macht.

Bei der Neuroplastizität handelt es sich aus Sicht des Referenten um die wichtigste Erkenntnis im Bereich der Neurowissenschaften aus dem letzten halben Jahrhundert: Das Gehirn ändert sich – strukturell (d.h. die Hardware betreffend) – wann immer es benutzt wird (d.h. nach der Software, die auf dem Gehirn läuft). Anders gesagt: Verarbeitung und Speicherung von Information erfolgen durch die gleichen Strukturen und Prozesse. Nach der räumlichen Ausdehnung der betroffenen Strukturen unterscheidet man synaptische Plastizität (im Sinne beispielsweise der Langzeitpotenzierung) und kortikale Plastizität im Sinne der Veränderung von Repräsentationen in kortikalen Karten. Die praktischen Konsequenzen dieser Erkenntnisse haben leider nur langsam Eingang gefunden,

  1. in das Denken von Menschen über den Geist ganz allgemein (und damit in viele Lebensbereiche wie Bildung und soziales Leben) sowie
  2. im Speziellen in die Denkweise derer, die sich um Krankheit im Bereich des Geistes kümmern – Psychiater und Psychologen.

Nach einer kurzen Einführung zu den beiden im Titel genannten Begriffen wird ihre Brauchbarkeit anhand von Beispielen aus der Psychopathologie diskutiert.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer (Jg. 1958), Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Ulm, hat Medizin, Psychologie und Philosophie studiert. In zahlreichen Büchern, Fachzeitschriften, Vorträgen und vor Fernsehpublikum (Sendereihe „Geist und Gehirn" auf BR-alpha) vermittelt er neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Gehirnforschung (u.a. zu Themen wie Lernen und Kognitive Entwicklung, Auswirkungen von Medienkonsum, Einsamkeit, Psychische Erkrankungen).

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